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Fotoalbum der Verwaltung Rückwärtige Dienste (VRD) für Minister Erich Mielke als Geschenk zu seinem 70. Geburtstag 1977, hier Fotos zur Kinderbetreuung für Stasi-Mitarbeiter
Die Stasi forderte von ihren Mitarbeitern bedingungslose Loyalität und absolute Konspiration. Dafür erhielten sie Leistungen wie umfangreiche Kinderbetreuungsangebote oder bevorzugte Versorgung mit Konsumgütern und Wohnraum, die über das DDR-übliche Maß hinausgingen. Diese Leistungen trugen dazu bei, eine abgeschottete "Stasi-Lebenswelt" zu schaffen, in der sich die Mitarbeiter gegenseitig überwachten. Zuständig für diese und weitere Aufgaben war die VRD im MfS. Sie gehörte zum "Anleitungsbereich" von Mielkes Stellvertreter Rudi Mittig.
Quelle: BArch, SdM, Fo, Nr. 19, Bl. 17
Die Stasi-Mitarbeiter bezeichneten sich in der Tradition der sowjetrussischen Geheimpolizei "Tscheka" als "Tschekisten" und fühlten sich der politisch-ideologischen Elite der SED-Diktatur zugehörig. Damit verbunden waren ein hohes Arbeitspensum und äußerste Disziplin. Die Tschekisten erhielten aber auch hohe Gehälter, Belohnungen und andere Vorteile. Aus den Faktoren Ideologie, Selbstverständnis und Privilegien entstand ein tschekistisches Milieu, das sich zunehmend von der Gesellschaft abschottete.
Blick in das "Traditionskabinett" der HA XX, vorne rechts eine Büste des Gründers der "Tscheka" Feliks Dzierżyński, 80er Jahre
Jede Stasi-Diensteinheit betrieb "Traditionspflege" zur politisch-ideologischen Schulung und Propaganda nach innen. Zwar war die Bindekraft der so vermittelten tschekistischen Ideologie stark, doch ließ sie ab den 70er Jahren nach. Besonders die Ost-West-Entspannungspolitik ließ ideologische Bekenntnisse zum Klassenkampf zunehmend hohl erscheinen. Bei jüngeren Tschekisten spielten auch materielle Interessen und Statusdenken eine Rolle für die Berufswahl.
Quelle: BArch, MfS, HA XX, Fo, Nr. 1486, Bild 28
Stasi-Wohnkomplex an der Ost-Berliner Hansastraße, entstanden ab 1988
Allein in Ost-Berlin verfügte die Stasi über rund 18.000 Wohnungen für ihre Mitarbeiter und baute laufend neue Stasi-Wohnblöcke, abgesondert von der übrigen Bevölkerung. Der ständige Wohnraummangel in der DDR betraf Tschekisten daher kaum.
Quelle: BArch, VRD, Fo, Nr. 35, Bl. 2, Bild 15
Stasi-Klinikum in Berlin-Buch zur Zeit seiner Eröffnung im Jahr 1980
Stasi-Mitarbeiter genossen eine bevorzugte medizinische Behandlung. Mit dem "Zentralen Medizinischen Dienst" betrieb die Stasi abseits der staatlichen Gesundheitsversorgung ein eigenes System. Die Stasi beschaffte sich Medikamente selbst und verfügte über moderne Medizintechnik. Der Stasi-Führung ging es aber auch darum, die Gesundheit der Mitarbeiter präventiv zu kontrollieren und gesundheitliche Probleme unter Verschluss zu halten. Zu den bedeutendsten Gesundheitsproblemen unter Tschekisten zählten Alkoholismus und Suizidgefährdung.
Quelle: BArch, MfS, SdM, Fo, Nr. 59, Bild 2
Rundgang hochrangiger Stasi-Offiziere durch das Stasi-Ferienheim "Am Rennsteig" im thüringischen Masserberg anlässlich seiner Eröffnung im September 1986
Die Stasi baute und betrieb zahlreiche Ferienheime, die mitunter das Niveau durchschnittlicher DDR-Hotels weit übertrafen. Wie im Wohn- und Arbeitsumfeld überwachten sich die Mitarbeiter auch im Urlaub gegenseitig.
Quelle: BArch, MfS, SdM, Fo, Nr. 28, Bild 7
Ladenzeile des "Dienstleistungs- und Versorgungstrakts" im "Haus 18" der Stasi-Zentrale, 80er Jahre
Kontakte in die Bundesrepublik ermöglichten DDR-Bürgern den Zugang zu westlichen Waren, beispielsweise durch "Westpakete" oder zugeschicktes Westgeld, mit dem sie in den DDR-Intershops einkaufen konnten. Stasi-Mitarbeitern waren West-Kontakte strengstens verboten, diese Zugänge zu West-Waren blieben ihnen daher verschlossen. Als Ausgleich dafür betrieb die Stasi eigene Geschäfte mit einer überdurchschnittlich guten Warenauswahl.
Quelle: BArch, MfS, VRD, Fo, Nr. 146, Bild 3
Ausschnitt aus dem Stasi-Propagandafilm "Immer bereit" über das Pionierferienlager "Feliks E. Dzierżyński" in Dammsmühle, 1974 (ohne Ton)
Die Stasi betrachtete die Familien ihrer Mitarbeiter als Rekrutierungsreservoir, vor allem die Kinder. In Stasi-Kindergärten oder auch -Ferienlagern und nicht zuletzt zu Hause wurden sie beobachtet und im Sinne der Stasi indoktriniert. Befand die Stasi sie für geeignet, wurden sie schrittweise an das MfS herangeführt. Begannen Kinder jedoch, sich "feindlich-negativ" zu verhalten, hatten die Eltern sie zu disziplinieren. Dabei konnte sich der Stasi-Korpsgeist als mächtiger als die Bindung zum Kind erweisen. Zudem drohten den Eltern dienstliche Strafen, wenn das Kind "uneinsichtig" blieb.
Quelle: BArch, MfS, ZAIG, Fi, Nr. 147
Die 1974 gegründete VRD war das Rückgrat der Stasi zur "materiell-technischen Sicherstellung". Ihr Tätigkeitsspektrum war weit: Beschaffung, Lagerung und Bereitstellung von Nachschub jeglicher Art, Instandhaltung von Fahrzeugen, Betrieb von Verpflegungseinrichtungen und Ferienheimen und Realisierung von Bauvorhaben. Zudem verkaufte die VRD auch Stasi-Asservate sowie Inhalte versehentlich in die DDR geleiteter Pakete aus Westdeutschland. 1989 hatte sie 3 288 Mitarbeiter.
Befehl 5/74 von Erich Mielke zur Auflösung der Vorgängerstruktur Hauptverwaltung B (HV B) und Gründung der VRD, 1. Februar 1974
Hatte die HV B als eine Art Stab mit wenigen Mitarbeitern die Arbeit mehrerer selbstständiger Abteilungen lediglich koordiniert, wurden diese Abteilungen 1974 unter dem Dach der VRD zusammengeführt und damit die Leitung zentralisiert. Die zunächst in die VRD integrierte Abteilung Finanzen wurde noch 1974 wieder zu einer selbstständigen Abteilung.
Quelle: BArch, MfS, BdL-Dok, Nr. 1904, Bl. 1-3
Auszüge aus dem Fotoalbum zu Erich Mielkes Geburtstag zeigen das Tätigkeitsspektrum der VRD, 1977. ↓
Ein Arbeitsschwerpunkt der VRD war das Bauwesen: Mit zwei Stasi-eigenen Firmen, dem VEB Spezialhochbau Berlin (SHB) und dem VEB Raumkunst Berlin (RKB) war die Stasi unabhängig vom übrigen staatlichen Bauwesen und dessen finanziellen und materialtechnischen Versorgungsproblemen. Ein anderes Feld bearbeitete die "Koordinierungstelle Karlshorst" in der VRD, die die Versorgung und Ausstattung des DDR-Hauptsitzes des sowjetischen KGB in Berlin-Karlshorst gewährleistete.
Quelle: BArch, SdM, Fo, Nr. 19, Bl. 1, 4, 5, 7-12, 14-16, 18, 20
Fotos des 200 Hektar großen "Dienstkomplexes Freienbrink" der Stasi: Zufahrtstor (o. D.), Parkfläche für beschlagnahmte Kfz mit Lagerhallen im Hintergrund (o. D.), Mitarbeiter der Abt. M (Postkontrolle) bei der Überprüfung von westdeutschen Paketen (nach 1984)
In Freienbrink, östlich von Berlin, betrieb die VRD ein Logistikzentrum. Neben Versorgungsgütern lagerte sie hier unter anderem beschlagnahmte Kfz, die mitunter zerlegt und verkauft oder Stasi-intern genutzt wurden. Zudem plünderte die Stasi in Freienbrink fehlgelaufene westdeutsche Pakete: Zunächst prüfte die Abt. M den Inhalt, danach verkaufte ihn die VRD oder nutzte die West-Waren Stasi-intern. Grund für die Fehlleitungen waren meist Verwechslungen von West- mit Ost-Postleitzahlen durch die Bundespost.
Quelle (oben): BArch, MfS, GH, Nr. 16/84, Bd. 1, Bl. 54, Bild 2
Quelle (Mitte): BArch, MfS, HA IX, Fo, Nr. 526, Bild 21
Quelle (unten): BArch, MfS, Abt. M, Fo, Nr. 30, Bild 1
Generaloberst Rudi Mittig war ab 1975 einer von vier stellvertretenden Ministern für Staatssicherheit und koordinierte unter anderem die VRD und die HA XVIII, XIX und XX. Damit verantwortete er die Überwachung der Wirtschaft, des Verkehrswesens, der Opposition sowie die Versorgung der Stasi. Mittig, ein 1925 in Reichenbach in der Tschechoslowakei geborener Bauingenieur, machte eine mustergültige Stasi-Karriere und galt bis zum Herbst 1989 als Anwärter für Mielkes Nachfolge.
Rudi Mittig, um 1952
Mittig war ab 1938 Scharführer bei der HJ, wurde 1943 zum RAD und 1944 zur Wehrmacht eingezogen. Am Kriegsende geriet er in sowjetische Kriegsgefangenschaft. 1948 wurde er auf einer "Antifaschule" kommunistsich umerzogen und arbeitete danach bis zur Entlassung 1949 als "Lagerpropagandist" unter deutschen Kriegsgefangenen in Saporischschja in der Ukraine.
Quelle: BArch, MfS, KS, Nr. 24714/90, Bl. 42
Beurteilung des jungen Stasi-Offiziers Rudi Mittig durch seinen Abteilungsleiter Fritz Schröder, 8. April 1952
Mittig schloß 1950 das 1943 unterbrochene Ingenieursstudium ab. Er profilierte sich als linientreues und aktives SED-Mitglied. So qualifizierte er sich für die Stasi und stieg rasch auf: Schon kurz nach dem Eintritt bei der Stasi-Länderverwaltung Brandenburg wurde er als Nachfolger Schröders Leiter der Abt. III, 1955 der BV Potsdam. Ab 1964 war er Leiter der HA XVIII und erwarb 1968 den Titel Diplom-Jurist der JHS. 1975 beerbte er abermals Schröder und wurde stellvertretender Minister.
Quelle: BArch, MfS, KS, Nr. 24714/90, Bl. 41
Rudi Mittig (rechts) empfängt Erich Honecker in der Stasi-Zentrale anlässlich des 75. Geburtstags Erich Mielkes, 1983
In den 80er Jahren hatte Mittig eine einflussreiche Position: Die ihm unterstellten HA überwachten die strauchelnde DDR-Wirtschaft und die aufkeimende Opposition. Die AG BKK "sicherte" den "Bereich KoKo" des Stasi-OibE Alexander Schalck-Golodkowski, der mit dubiosen Geschäften Devisen für das SED-Regime beschaffte. 1986 stieg Mittig schließlich ins ZK der SED auf. Doch im Dezember 1989 wurde er im Zuge der Friedlichen Revolution von seinen Funktionen entbunden und kurz darauf entlassen.
Quelle: BArch, MfS, BdL, Fo, Nr. 277, Bild 20
Das Fotoalbum stammt aus dem Sekretariat des Ministers (SdM) in Erich Mielkes Dienstsitz, "Haus 1" der Stasi-Zentrale. 1990 wurde es dort mit anderen Unterlagen in den Räumen des SdM aufgefunden. Das Staatsarchiv der DDR und nach der Wiedervereinigung das Stasi-Unterlagen-Archiv bildeten aus diesen Unterlagen den "Teilbestand SdM" des Stasi-Unterlagen-Archivs. Er umfasst 75 lfm, darunter rund 10.500 Fotografien und 147 Tonträger.
Auffindesituation der SdM-Unterlagen: Panzerschrank in einem SdM-Büro, aufgenommen während einer Durchsuchung durch die Militärstaatsanwaltschaft im Zuge der Abwicklung der Stasi, Dezember 1989
Das SdM fungierte als persönliches Sekretariat Erich Mielkes. Es lagerte Unterlagen in den Büroräumen und im Keller von "Haus 1". Im Teilbestand finden sich offizielle Unterlagen wie Grundsatzdokumente, dienstliche Bestimmungen, Reden und Referate von Mielke oder Schriftverkehr mit Stasi-Diensteinheiten und anderen Adressaten. Er enthält aber auch privatdienstliche Unterlagen wie Glückwunschschreiben oder Auszeichnungsurkunden Mielkes. Das Fotoalbum wurde der Fotosammlung des SdM zugeordnet.
Quelle: BArch, MfS, HA IX, Fo, Nr. 610, Bild 18
"Frühstücksplan" für Erich Mielke: Karteikarte aus dem Schreibtisch von Mielkes langjähriger Chefsekretärin Ursula Drasdo, o. D.
Neben Unterlagen offiziellen oder halboffiziellen Inhalts befinden sich im Teilbestand SdM auch Unterlagen, die Einblicke in den Alltag in Mielkes direktem Umfeld ermöglichen. So notierte Ursula Drasdo detailliert, wie er sein Frühstück wünschte.
Quelle: BArch, MfS, SdM, Nr. 871, Bl. 15
Erich Mielkes "Roter Koffer", aufgenommen während einer Durchsuchung des SdM durch die Militärstaatsanwaltschaft im Dezember 1989
Der Koffer enthielt unter anderem diskreditierende Unterlagen über Erich Honecker, teilweise aus der NS-Zeit. Warum Mielke die Dokumentensammlung anlegen ließ, ist unbekannt. Nach seinem Bekanntwerden verschwand der Koffer zunächst, wurde aber 1990 von Journalisten wieder aufgespürt. Sein Inhalt kam danach zurück in die Ursprungsarchive, von der Stasi selbst angelegte Unterlagen befinden sich heute im Teilbestand SdM. Der Koffer ist als Dauerleihgabe im Stasimuseum in Berlin zu sehen.
Quelle: BArch, MfS, HA IX, Fo, Nr. 610, Bild 67f.