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Gedenkveranstaltung zum 25. Jahrestag der Ermordung Ernst Thälmanns im ehemaligen KZ Buchenwald, 16. August 1969
Ernst Thälmann, ab 1925 Vorsitzender der KPD, wurde am 18. August 1944 im KZ Buchenwald von der SS erschossen. Die SED machte ihn zur Symbolfigur des NS-Widerstands und zum Nationalhelden der "antifaschistischen" DDR. Die drei mutmaßlichen Mörder lebten in Westdeutschland. Keiner von ihnen wurde verurteilt: Jahrelange Ermittlungen westlicher Strafverfolger blieben letztlich folgenlos, die
Stasi und die SED-Führung gaben ihre Beweise nicht an die Ankläger im Westen weiter.
Quelle: BArch, MfS, BV Erfurt, Fo, Nr. 163, Bild 71
Die Stasi ermittelte gegen NS-Täter in Ost und West, machte sie ausfindig und überwachte sie. Ihr Wissen nutzte sie meist für "politisch-operative" Zwecke: So erpresste sie NS-Täter zur Zusammenarbeit, beispielsweise als IM. Zudem versorgte sie die SED-Führung mit Propagandamaterial über tatsächliche oder vermeintliche Kriegsverbrecher in der Bundesrepublik. Primäres Ziel und Motivation der Stasi war es, den Mythos der "antifaschistischen" DDR zu stützen und so den SED-Staat zu legitimieren.
"Antifaschistische" Großkundgebung in Ost-Berlin, 8. September 1974
Die SED prangerte Westdeutschland als faschistisch an und behauptete, NS-Täter gäbe es nur dort. In der DDR, abseits "antifaschistischer" Rituale und offizieller Geschichtspolitik, beschwieg sie die NS-Vergangenheit allerdings. Und integrierte so stillschweigend ehemalige Nationalsozialisten in die Gesellschaft.
Quelle: akg images 89952
Offiziere der BV Erfurt vor der Thälmann-Gedenktafel im ehemaligen KZ Buchenwald, 16. August 1969
Die Stasi gab sich, wie die SED, "antifaschistisch" und stellte sich in die Tradition des kommunistischen Widerstands gegen das NS-Regime. Mitunter gab es personelle Kontinuitäten: So war der Chef der BV Erfurt, Martin Weikert (2. von rechts), selbst Widerstandskämpfer gewesen. Trotzdem unterlag der Umgang der Stasi mit NS-Tätern grundsätzlich politischem Kalkül. Das galt auch für die mutmaßlichen Mörder Ernst Thälmanns.
Quelle: BArch, MfS, BV Erfurt, Fo, Nr. 163, Bild 76
Die HA IX baute ab Mitte der 60er Jahre ein Archiv mit Unterlagen zu NS- und Kriegsverbrechen auf. 1967 folgte die Einrichtung einer eigenen Archiv-Diensteinheit: der Abt. 11. Die Provenienzen des Materials waren vielfältig. Es handelte sich um Schriftgut des Deutschen Reichs und der NSDAP, um Entnazifizierungsunterlagen und Stasi-Ermittlungsakten. Das Archiv war streng geheim.
Befehl 39/67 von Erich Mielke über die Einrichtung der HA IX/11, 23. Dezember 1967
Als Mielke den Befehl über die Bildung der Abteilung erteilte, war das Archiv bereits seit einigen Jahren im Aufbau. Obwohl der Befehl sich ausdrücklich auf NS-Täter im Westen bezog, sollte es nicht dabei bleiben. Die HA IX/11 trug ihr Archivmaterial unabhängig vom Wohnort der Verdächtigten zusammen – auch zu Tätern in der DDR.
Quelle: BArch, MfS, BdL, Dok, Nr. 1172
Eingangstor zum MfS-Sperrbezirk Berlin-Hohenschönhausen, Freienwalder Straße, um 1985
Das Archiv der HA IX/11 befand sich im MfS-Sperrbezirk in Berlin-Hohenschönhausen: in der "Villa Heike" in der Freienwalder Straße (links, hinter der Schranke). Unweit davon lag die berüchtigte Zentrale Untersuchungshaftanstalt der Stasi (im Bildhintergund zu sehen).
Quelle: BArch, MfS, HA IX, Nr. 2560, Bild 37
Premiere des DEFA-Propagandafilms "KLK an PTX – Die Rote Kapelle" über den NS-Widerstandskreis "Rote Kapelle" im Kino Kosmos in Ost-Berlin am 25. März 1970:
SED-Spitzenfunktionäre wohnen der Filmpremiere mit sowjetischen Gästen bei.
Erich Mielke (re.) mit der Widerstandskämpferin Greta Kuckhoff (M.) und der Schauspielerin Barbara Adolph (li.), die im Film Kuckhoff spielte
Die von den Nationalsozialisten als "Rote Kapelle" bezeichnete Widerstandsgruppe war eigentlich ein loser Verbund verschiedener Kreise von rund 150 Menschen mit unterschiedlichen politischen Ansichten, darunter auch Kommunisten. Der Film war eine Stasi-Propgandamaßnahme, die die HA IX/11 mit Archivmaterial unterstützte. Die Stasi hob die Kommunisten hervor und behauptete, in deren Tradition gegen dieselben "Faschisten" wie einst die "Rote Kapelle" zu kämpfen: Diese seien im Westen nun wieder an der Macht.
Quelle: BArch, Bild 183-K0325-0042-001, Fotograf: Joachim Spremberg (Bild oben)
Quelle: BArch, Bild 183-K0325-0043-001, Fotograf: Joachim Spremberg
Die westdeutsche Justiz ermittelte seit den 50er Jahren gegen drei SS-Männer, die der Ermordung Thälmanns verdächtigt wurden. Doch wie in vielen Fällen von NS-Tätern ging sie nur halbherzig vor. Einer der Tatverdächtigen verstarb 1964 unbehelligt, ein zweiter wurde 1988 freigesprochen. Der dritte, Erich Gust, war bei Kriegsende untergetaucht. Ihn erklärten die West-Ermittler 1976 für unauffindbar. Die Stasi dagegen hatte Gust schon 1969 aufgespürt. Doch sie hielt ihre Erkenntnisse zurück.
SS-Obersturmführer Erich Gust, 1942
Gust war ab 1942 2. Schutzhaftlagerführer im KZ Buchenwald und damit der ranghöchste Verdächtige im Mordfall Thälmann. Die Stasi machte ihn 1969 im niedersächsischen Melle ausfindig, wo er unter dem Namen Franz Giese ein Restaurant betrieb. Die HA IX/11 stellte in einem Dossier Indizien und Beweise für seine Mittäterschaft zusammen.
Quelle: Instytut Pamięci Narodowej, BU 4084, Inventurnummer GK_58488
Stasi-Filmaufnahmen von Gusts Restaurant „Heimathof“ auf dem Gelände des Grönegau-Museums in Melle, um 1969
Im „Heimathof“ verkehrten westdeutsche Prominente, darunter auch Bundespolitiker. Obwohl dies eine Steilvorlage für eine anti-westliche Propaganda-Kampagne geboten hätte, enttarnte die Stasi Erich Gust alias Franz Giese letztlich nicht. Die Gründe bleiben im Dunkeln. Erst 1992, nach dem Ende der DDR, erfuhr die Öffentlichkeit aufgrund des nun zugänglichen Dossiers der HA IX/11 von Gusts Identität. Kurz zuvor war er verstorben.
Quelle: BArch, MfS, Fi, Nr. 130–133
Das Bild stammt aus einer Fotodokumentation im Bestand der BV Erfurt. In ihrem Zuständigkeitsbereich lag die monumentale „Nationale Mahn- und Gedenkstätte“ Buchenwald. Die Anlage diente der SED für "antifaschistische" Inszenierungen und zur Überhöhung der kommunistischen NS-Opfer. Andere Opfergruppen des NS-Massenmords blendete das Regime aus. Die Fotos der Feierlichkeiten zu Thälmanns 25. Todestag machte die BV Erfurt vermutlich für repräsentative Zwecke.
Alfred Neumann (re.), Mitglied des SED-Politbüros, spricht auf der Gedenkveranstaltung. Hinter ihm der Chef der Erfurter BV Martin Weikert, 16. August 1969
Die Veranstaltung war ein Großereignis mit 20.000 Zuschauern. Ranghöchster Teilnehmer war Alfred Neumann. Fotos dieser Art nutzten Stasi-Dienststellen wie die BV Erfurt in ihren "Traditionskabinetten". Dabei handelte es sich um repräsentativ gestaltete Ausstellungen, die zur ideologischen Schulung der Mitarbeiter dienten und externen Besuchern das Selbstbild der Stasi vermitteln sollten.
Quelle: BArch, MfS, BV Erfurt, Fo, Nr. 163, Bild 83
Standort Erfurt des Bundesarchivs – Stasi-Unterlagen-Archivs, um 2018
Die Stasi-Fotodokumentation zu Thälmanns 25. Todestag wird im Stasi-Unterlagen-Archiv Erfurt aufbewahrt. Hier lagern insgesamt 4.500 lfm Schriftgut, 1,7 Millionen Karteikarten zu 1,1 Millionen Personen und zahlreiche audiovisuelle Medien wie Fotos, Filme oder Dias. Die Unterlagen stammen von der BV Erfurt und ihren 13 Kreisdienststellen.
Quelle: Bundesarchiv – Stasi-Unterlagen-Archiv