Zum Inhalt springen
Laufzettel für das Notaufnahmeverfahren von Susanne Krüger, Notaufnahmelager (NAL) Marienfelde in West-Berlin, 1953
Für DDR-Flüchtlinge waren NAL die erste Station im Westen. Auch für die ehemaligen Stasi-Mitarbeiter Susanne und Bruno Krüger. Gegenüber westlichen Geheimdiensten im NAL Marienfelde machten sie Angaben zum Stasi-Apparat. Die Stasi verfolgte sie als "Verräter" und verschleppte sie zurück in die DDR. Dort ließ die SED sie am 14. September 1955 hinrichten.
Quelle: BArch, MfS, GH, Nr. 108/55, Teil 2, Bd. 14, Bl. 499 f.
In den 50er Jahren flüchteten Hunderttausende aus der DDR, meist nach West-Berlin. Im NAL Marienfelde erhielten die Flüchtlinge Hilfen, mussten aber auch die "Sichtungsstelle" aufsuchen. Dort fanden Befragungen durch Geheimdienste der drei West-Alliierten statt. SED und Stasi sahen das NAL als "Feindzentrale" und die Flüchtlinge als "Verräter".
Einweihung des NAL Marienfelde am 14. April 1953
1952 riegelte die DDR die innerdeutsche Grenze ab, um die Massenflucht aus der DDR zu stoppen. Danach war eine relativ gefahrlose Flucht von Ost nach West nur noch in Berlin möglich. Die Flüchtlingszahlen dort stiegen sprunghaft an und machten den Bau des NAL in West-Berlin erforderlich.
Quelle: picture-alliance / akg, Fotograf: Gert Schütz
Von Susanne Krüger angefertigte Skizzen des NAL (oben) und der "Sichtungsstelle", 1955
Die Stasi sammelte ständig Informationen zum NAL, insbesondere zur "Sichtungsstelle", wo westliche Geheimdienste Befragungen durchführten. Auch Susanne Krüger machte nach ihrer Entführung aus West-Berlin in der Stasi-Untersuchungshaft detaillierte Angaben dazu und fertigte Skizzen an.
Quelle: BArch, MfS, GH 108/55, Bd. 1, Bl. 588 u. 587
Propaganda-Flugblatt der "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit" (KgU) mit Namen und Funktionen von Stasi-Mitarbeitern im Bezirk Schwerin, um 1954 (Auszug)
Die KgU, die in engem Kontakt zu US-amerikanischen Geheimdiensten stand, war eine in West-Berlin angesiedelte antikommunistische Organisation gegen SED und DDR. Ihre Methoden reichten von der Suche nach in der DDR vermissten Personen bis zu Attentatsversuchen. Und sie betrieb Propaganda: So sammelte sie auch Informationen über den DDR-Sicherheitsapparat und machte sie öffentlich. Die Stasi warf den Krügers vor, die KgU bei einer Flugblattaktion gegen die BV Schwerin mit Insiderwissen unterstützt zu haben.
Quelle: BArch, MfS, GH 108/55, Bd. 14, Teil 2, Bl. 414
Propaganda-Auftritt des Stasi-Chefs Ernst Wollweber in Ost-Berlin, 15. Januar 1954
Unter Wollweber kam es ab 1953 zu mehreren Verhaftungswellen. Dazu gehörten auch Entführungen aus West-Berlin. Eine der Aktionen - Deckname "Blitz" - richtete sich vor allem gegen Organisationen wie die KgU, ihre Helfer in der DDR und in den Westen geflüchtete "Verräter".
Quelle: BArch, Bild 183-23045-0006, Fotograf: Horst Sturm
Im Laufe seines Bestehens wurde das MfS wiederholt umstrukturiert und Aufgaben wurden neu verteilt. Zunächst bearbeitete die Abteilung X den Fall Krüger. Nachdem die Abteilung X 1954 in der Abteilung XII aufgegangen war, übernahm die HA V die Regie.
BV Schwerin am Demmlerplatz, um 1955
Die Abt. X der BV Schwerin entwarf einen "Maßnahmeplan" gegen die Krügers und überprüfte ihr Umfeld.
Quelle: BArch, MfS, BV Schwerin, AU, Nr. 42/55, Bd. 1, Bl. 122
Albert Schubert, von 1952 bis 1954 Leiter der Abteilung V, ab 1954 "Stellvertreter Operativ" der BV Schwerin, o.D.
Als "Stellvertreter Operativ" gehörte Schubert zur Leitung der BV und beaufsichtigte neben der Abteilung V weitere Diensteinheiten. Er setzte IM auf die Krügers an und entwarf die Entführungspläne. Absprachen dazu traf er mit dem damaligen Stasi-Vizechef Erich Mielke. Die HA V wurde 1964 zur HA XX umstrukturiert, die den Kernbereich der politischen Repression der Stasi bildete. Albert Schubert war ab 1957 Leiter der HA VIII und ging 1984 als hochdekorierter Stasi-Generalmajor in Rente.
Quelle: BArch, MfS, HA KuSch, Nr. 1567
Bruno Krüger entsprach nicht den moralischen Ansprüchen der Stasi, war undiszipliniert und manchmal gewalttätig. 1952 entließ ihn die Stasi. Er bekam eine Stelle in der Schweriner Stadtverwaltung. Dort prangerte er Korruption an, befürchtete danach seine Verhaftung und flüchtete Ende August 1953 mit einer Geliebten nach West-Berlin.
Susanne Krüger wurde Anfang August 1953 von der Stasi entlassen, weil sie sich nicht von Bruno scheiden lassen wollte. Sie flüchtete im September 1953 mit ihrem einjährigen Sohn nach West-Berlin, lebte dort aber getrennt von ihrem Ehemann. 1954 entführte die Stasi Bruno, 1955 Susanne Krüger.
Einlieferungsanzeige in die Stasi-Untersuchungshaft für Bruno Krüger, 8. Oktober 1954
Nach Streitereien mit ihm ließ sich Bruno Krügers Geliebte von der Stasi anwerben und entführte am Nachmittag des 7. Oktober 1954 den Sohn der Krügers unbemerkt in die DDR. Stunden später, in der darauffolgenden Nacht, überwältigten Stasi-Mitarbeiter Bruno Krüger auf offener Straße und verschleppten auch ihn nach Ost-Berlin.
Quelle: BArch, MfS, GH 108/55, Bd. 4, Bl. 8
Einlieferungsanzeige in die Stasi-Untersuchungshaft für Susanne Krüger, 17. März 1955
Susanne Krüger wollte ihr Kind aus der DDR zurückholen. Ein Bekannter aus Schwerin versprach ihr Hilfe, entpuppte sich aber als Stasi-Mitarbeiter: Bei einem Treffen betäubte er sie und entführte sie nach Ost-Berlin, wo die Stasi sie festnahm.
Quelle: BArch, MfS, GH 108/55, Bd. 6, Bl. 5
Sitzung des Politbüros der SED, April 1955
Das Politbüro, das Machtzentrum im SED-Staat, beschloss schon Wochen vor dem Beginn der Gerichtsverhandlung den Tod der Krügers. Die Hinrichtungen fanden in den frühen Morgenstunden des 14. Septembers 1955 in Dresden statt. Die Leichname wurden anschließend eingeäschert und anonym bestattet. Der Sohn des Ehepaars wurde adoptiert. 56 Jahre später erfuhr er vom Schicksal seiner leiblichen Eltern.
Quelle: BArch, Bild 183-30033-0002, Fotograf: Walter Heilig
Stasi-Befehl 224/55 zum "Verrat" der Krügers, 5. August 1955
Das Schicksal der Krügers nutzte Stasi-Chef Wollweber zur internen Abschreckung. Jeder Mitarbeiter hatte die Kenntnisnahme des Befehls 224/55 zu quittieren. Die Botschaft: Kein „Verräter“ entkommt der Stasi.
Quelle: BArch, MfS, GH 108/55, Bd. 11, Bl. 1f.
Die Akte mit dem Laufzettel stammt aus der Geheimen Ablage (GH). Sie enthält Unterlagen zu besonders brisanten Fällen von Spionage, Gewalttaten und ähnlichen Delikten. Täter oder Betroffene waren Mitarbeiter der Stasi oder des Partei- und Staatsapparats. Die Akten unterlagen strengster Geheimhaltung, weil ihr Bekanntwerden das Ansehen der Stasi oder der DDR hätte schädigen können.
Übersicht über die Inhalte der Unterlagen in der GH nach Tatbeständen bzw. Deliktgruppen
Die GH wurde Ende 1953 als Archivbestand 5 des Stasi-Zentralarchivs eingerichtet. Sie enthält knapp 348 lfm Unterlagen zu 2 685 Vorgängen. Die Unterlagen lagerten verplombt in verschlossenen Regalen. Nur die ablegende Diensteinheit durfte sie wieder öffnen.
Quelle: Bundesarchiv – Stasi-Unterlagen-Archiv / Karsten Jedlitschka / Pralle Sonne